Am 11. Juni 2020 war es so weit. Nach drei Jahren vergeblicher Mühe war es meiner Pertnerin gelungen, an meinem Geburtstag zwei Plätze bei Andrea Caminada im Schloss Schauenstein zu ergattern.
Als wir am späten Nachmittag eincheckten, trieb ein wütender Wind letzte Wolken vor sich her, aber wenn sich zwischendrin die Sonne zeigte, konnte man den Sommer bereits erahnen.
Ich war mehr als nur gespannt auf alles, was uns hier erwartete.
Die Ankunft im Schloss verlief unkompliziert und nett. Wir bekamen ein gediegen, aber ruhig eingerichtetes Zimmer unter dem Dach des Restaurantteils. Auf dem Weg dorthin begegneten wir ersten anderen Gästen, auch sie waren vorfreudig. Die meisten trugen ungezwungene Freizeitkleidung. Das Haus war edel und so wie man sich ein altes Schloss vorstellt - etwas verwunschen - aber die Stimmung war heiter und gelöst. Man hörte das Personal lachen und wir fühlten uns sofort wohl.
Wir begannen mit einem kleinen Spaziergang durch die Anlage, wo wir handgeschmiedetes Besteck entdeckten und eine kleine Bäckerei, in der es so verführerisch roch, dass mein Magen zu rumoren begann. Neben allerlei lokalen oder im Haus selbst hergestellten Lebensmitteln wurden auch Bücher verkauft.
Als Zusatzgeschenk bekam ich von meiner Begleiterin das Buch «Die Wurstwerkstatt» geschenkt, das ich am liebsten gleich von vorne nach hinten gelesen hätte.
Aber die Zeit drängte, um 18.30 war der Apéritiv angesagt.
Feuerwerk zur Einstimmung
Frisch umgezogen, traten wir pünktlich auf die Schlossterrasse hinaus. Wir waren längst nicht die ersten, es sassen bereits mehrere Paare vorfreudig in den Sesseln. Wir rückten auf einem kleinen Sofa zusammen und warteten auf die Vorstellung.
Es windete und eigentlich war es einen Tic zu kalt auf der Terrasse, aber bevor ich darauf reagieren konnte, wurden die ersten Gerichte zu einem herrlichen Weisswein aus der Bündner Herrschaft serviert.
Es wäre wirklich unangebracht, hier von Häppchen zu sprechen, es waren kleine Meisterwerke, die so gut waren, dass meine Geschmacksnerven augenblicklich in Wallung gerieten.
Die Bedienung war schnell und sie brachten die Leckerbissen in derart rascher Folge, dass wir trotz des Windes und des kalten Wetters augenblicklich in Verzückung gerieten. Meine Zunge schmeckte einzelne kleine Kräuter, die an einer winzigen Frischkäsekugel klebten und die uns zusammen mit dem perfekt krossen Boden einfach nur beglückten. So hangelten wir von einer geschmacklichen Sensation zur anderen, wir schauten einander an, wir freuten uns, wir waren glücklich. Und dann kam die Überraschung des Abends: Eine vegane Auster.
Zuerst habe ich laut gelacht, als uns diese Kreation erklärt wurde.
Die Auster wich farblich derart vom Original ab wie ein Werk von Andy Warhol. Vor mir stand ein Teller mit einer dunkelgrünen rauhen Muschelschale, in der ein schlaffer Pilz in wenig Sauce braun glitzerte. Die vegane Auster hatte trotz der Farbverschiebung in die Palette der Wald- und Wiesenfarben eine eindeutig muschelhafte Anmutung. Ohne zu überlegen, packte ich das Ding und schob es in den Mund. Die Schale aus Algen knackte und krachte und die meerig-salzigen Aromen verbanden sich mit dem sinnlichen Pilz, der erstaunlich gut mit seinem essbaren Gehäuse harmonierte. Ich war derart begeistert, dass ich mich völlig schwerelos fühlte als wir in den Essaal gerufen wurden.
Wie Gastronautinnen schwebten wir zu unserem Tisch, der mit unschönen Glaselementen von den Nachbartischen abgetrennt war. Auch diese irritierten mich nur milde. Wir setzten uns mit der Umständlichkeit von Menschen, die frisch auf dem Mond gelandet sind. Auch die Zeit schien hier anders zu laufen als auf der Erde. Uns wurden Kärtchen gebracht, die wir gedankenlos wegsteckten. Sie schienen irgendeine Bedeutung zu haben, die sich uns aber damals nicht erschloss.
Dann feuerte die Küche wieder und es erschienen die ersten Sterne auf dem Tischtuch vor uns. Dies sei erst die Einstimmung meinte der nette junge Mann, die uns die Teller brachte.
In besonderer Erinnerung blieb mir ein klitzekleines Stück Makrele. Ja, das ist der Fisch, der so schön schillert mit seinen Streifen, der dann aber meist eher tranig schmeckt. Ich mag ihn am liebsten geräuchert. Bei Caminada sah die Makrele aus wie ein Stück Sashimi, das unschuldig in einer hellen Sauce lag, er hatte die Maquerel derart veredelt, dass sie endlich so elegant und schön schmeckte wie sie in Natura aussieht oder auf Französisch klingt.
Gemüse wird nach vorne gebeten, keine Hauptrolle für Fleisch und Fisch
Erst dann begann das eigentliche Essen. Für uns erkennbar am geviertelten runden Brot, das aufgetragen wurde. Es sah herrlich aus. Wir ließen allerdings die Finger davon, weil wir befürchteten, dass sonst der Magen zu voll würde für die noch kommenden Genüsse.
Wir waren tatsächlich in der richtigen Verfassung für das was jetzt kam: Es waren perfekt ausbalancierte Gerichte, die man in schwebendem Zustand einfach besser geniessen kann. Profane Zwiebeln, Kopfsalat oder Randen spielten ebenso prominente Rollen wie Schwein, Lamm oder Fisch. Das Ergebnis dieser kompromisslosen Beilagenförderung waren geschmackliche Harmonien und Kontrapunkte, die den Genuss so perfekt machten wie eine Kantate von Bach. Wir nahmen die Erde nur noch ganz von weitem wahr und unsere Augen begannen von innen zu leuchten.
Lange Zeit später brachte uns eine letzte Salzkaramell-Praline wieder sanft auf den Boden der Realität zurück.
Als wir das Restaurant verliessen, stand er plötzlich vor uns: Andreas Caminada.
Ich war noch so high vom Essen, dass ich ausser ein paar gestammelter Banalitäten nichts von mir geben konnte, meiner Begleitung ging es ähnlich. Lieber Herr Caminada entschuldigen Sie unsere Verwirrtheit, vielleicht lesen sie ja diesen Blogbeitrag. Er ist mit zwei Wochen Abstand geschrieben worden. Ihr wunderbares Essen ist längst verdaut, die Erinnerung daran bleibt. Danke für das grossartige Erlebnis!
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